⌘ 28.07. - 04.08. Yttergrund - Seili (FIN)
Seili (finnisch) oder Själö (schwedisch) ist der Tipp eines finnischen Seglers, den wir bereits in Uusikaupunki erhielten. Ein mystischer Ort mit bewegter und etwas gruseliger Vergangenheit soll es sein. Er streut einige Details und schon beißen wir an.
Dort soll es also als nächstes hingehen - gute 121NM, die wir in vier Etappen über sechs Tage aufteilen werden. Von Yttergrund nach Laitakari über Viisastenkari nach Bruddalen um am Ende in Seili anzukommen. Unsere Langsamkeit ist manchmal wirklich beeindruckend! 😂
Raus auf die Ostsee
Wir verlassen Yttergrund am Vormittag, zwängen uns erneut durch das Kanälchen, folgen den Seezeichen und halten schließlich auf die offene See. Der starke NW-Wind der letzten Tage hat das Wasser ordentlich aufgewühlt. Es ist wirklich ruppig und so sind wir froh, nach etwas Raumgewinn und dem Segelsetzen auf einen Vorwindkurs gehen zu können.
Schlagartig kehrt Ruhe ein. Keine See mehr, die übers Vorschiff spült. Kein hartes Eintauchen in die nächste Welle. Kein hin und her, dafür gemächliches auf und ab.
Die Wellen kommen schräg achtern, sind angenehm lang und die bisher größten. Befinden wir uns auf der Cockpitbank stehend (Augenhöhe dann immerhin fast drei Meter über dem Wasser) schwindet die freie Sicht immer wieder. Rundum nichts als Wasser und Welle. Anfangs ein seltsames Gefühl, an das wir uns aber schnell gewöhnen. Auch das "Surfen" der Wellenberge lernen wir zu schätzen. Viel viel angenehmer als die sonst so übliche steile und kurze Ostseewelle.
Zunächst geht es wieder gen Säppi, ehe wir nördlich davon das Tiefwasser verlassen und auf ein gut geschütztes Fahrwasser zwischen Küste und den vorgelagerten Inseln, Felsen und Schären wechseln.
Waren es vorher die Wellen, auf die wir achten mussten, sind es nun die vielen Fahrwasser- und vor allem Kardinaltonnen, die richtig gedeutet werden wollen. Aufmerksam geht es mit vielen Kurswechseln zügig gen Süden. Realität und Karte abgleichen, Seezeichen suchen und deuten. Auf Kurs bleiben, Segel trimmen um noch das letzte Knötchen herauszukitzeln.
Gleichzeitig ermahnt uns immer wieder eine leise Stimme wachsam zu bleiben. Ein übersehenes oder falsch gedeutetes Seezeichen und schon kann der Spaß vorbei sein. Anders als in der dänischen Südsee mit ihren Sandbänken oder der Elbe mit ihrem weichen Schlick, wartet hier massiver Granit. Eine Kollision kann Ari durchaus großen Schaden zufügen oder auch den Verlust unseres Zuhauses bedeuten. Wie heißt es so schön in den KVR (Kollisionsverhütungsregeln): Gehörig Ausguck halten!
Ist man sich der Gefahr allerdings bewusst, ist das größte Risiko (Unwissenheit) bereits gebannt und so überwiegt ganz klar der Spaß! Offene und tiefe Bereiche wechseln sich mit engen und flachen ab. Manchmal so eng, dass sich zwei Aris nicht begegnen sollten. Dann springt das Echolot von dreißig Metern plötzlich auf fünf, vier, drei. Dann steigt der Puls und der Blick wechselt noch häufiger zwischen Echolot und Seekarte. Und plötzlich fällt es wieder unvermittelt. Es ist, als segelte man durch ein aufgefülltes Gebirge und nur die Gipfel lugen hier und dort heraus. Mal rauschen wir bei halbem Wind mit +7KN dahin. Dann folgt ein scharfer Knick, nachdem wir im Schneckentempo jedes Grad Höhe kneifen. Kaum ist die Tonne passiert, genießen wir wieder den Wind von Achtern.
Eine wahre Freude!
Stück für Stück in den Süden
Dem Fahrwasser folgend hangeln wir uns mit mehreren Stopps die nächsten Tage ins Archipel. Mit jeder Meile gen Süden kehrt der Sommer mit Sonne und steigenden Temperaturen zurück. Gleichzeitig schwindet unser tägliches Etmal (gesegelte Meilen an einem Tag), obwohl wir ähnlich viel Zeit unter Segeln verbringen. Der Wind scheint sich und uns nach den letzten heftigen Wochen eine Pause gönnen zu wollen. Nach dem Start mit teilweise +30kn driften wir mit dem allerletzten Hauch auf unseren Ankerplatz vor Seili.
1. Halt: Laitakari (47NM)
Aus Mangel an alternativen und wegen einer vorhergesagten stürmischen Nacht angelaufener Hafen. Schöne Holzbootflotte und zur Versorgung mit Diesel/Wasser gut geeignet. Ansonsten keine Highlights.
2. Halt: Viisastenkari (37NM)
Ankerplatz im Schärenmeer vor Uuki. Einer dieser schönen Spots, die mit etwas Abenteuergeist und offenen Augen beinah unendlich zu finden sind.
3. Halt: Bruddalen (20NM)
Spontan angelaufener Hafen, um vor dem nächtlich durchziehenden Tief geschützt zu sein. Unaufgeregte ländliche Gegend. Hase und Igel sagen sich hier gute Nacht! Soll die günstigste Tankstelle im gesamten Archipel sein. Leckeres asiatisches Restaurant direkt am Hafen. Außerdem eine kleine Werft für Reparaturen.
4. Halt: Seili (Själö) (17NM)
Die letzte Etappe nach Själö übernimmt Shaima die Schiffsführung inkl. Routenplanung, Kommandos und allem was dazu gehört. Für uns beide ist das Anfangs etwas ungewohnt, da sich eine andere Routine eingeschlichen hat. Erfrischend und aufregend, die gewohnten Muster aufzubrechen! Klappt super und macht mega Spaß. Mit dem letzten Hauch driften wir auf unseren Ankerplatz.
Seili, da sind wir
Während die Mädels direkt die Insel unsicher machen, beginne ich das Schiff aufzuklaren und Infos über die Insel und ihre Geschichte zu sammeln.
Nicht ganz einfach, da vieles nur im kryptischen Finnisch vorliegt und der Google-Übersetzter anscheinend erst den Beginnerkurs absolviert hat. Ich stoße auf die Doku "Själö - Island of Souls". Schwedisch mit englischen Untertiteln - immerhin! Mit ihr lassen wir den Tag ausklingen und gehen dann doch ein wenig verstört, weniger informiert als erhofft, aber noch immer neugierig ins Bett. Der als Doku angepriesene Streifen entpuppt sich als eher
düsterer Art-Film.
Ein wenig zur Insel
Die heutige Insel entstand durch die Landhebung nach der letzten Eiszeit. Zwei nahe Inseln wuchsen zum heutigen Seili zusammen. Der Name weist auf einen großen Robbenbestand hin (själ ist altschwedisch für säl, was im Englischen mit seal übersetzt wird), weshalb wiederum die Menschen die Insel für sich entdeckten und erste Unterkünfte errichteten. Leider muss man "wies" sagen, wobei die Zahlen der süßen Jäger positiv sind.
Seit 1620 gibt es das sagenumwobene Krankenhaus. Es wurde als Alternative für das Leprakrankenhaus in Turku errichtet, welches nach Verlegung der Kranken mit Ausnahme der Kapelle niedergebrannt wurde. So viel Gottesfurcht hatte man dann doch.
Der letzte Leprakranke starb 1785 und wenig später wurden psychisch erkrankte Menschen untergebracht und behandelt. Oder auch interniert und zu Versuchen „freigegeben“. Je nach Quelle, unterscheidet sich die Darstellung der medizinischen Arbeit sehr.
Der erste Patient, oder Gefangene, war jedenfalls der Chefarzt des vorherigen Krankenhauses. Spannend ist außerdem, dass nach einiger Zeit nur noch Frauen untergebracht wurden. Die Klinik bestand bis in die 1960er Jahre und wurde dann geschlossen. Auf den offiziellen Tafeln findet sich nur der Hinweis, das nach den „modernen Methoden“ der Psychologie gearbeitet wurde. Naja, was halt so zu der Zeit als modern galt…es gibt jedenfalls Berichte, dass Insassinnen im Winter über das Eis versuchten zu fliehen.
Über lange Zeit war es ein Ort der Krankheiten, des Leids und der Einsamkeit.
Und heute?
Das hat sich zum Glück geändert.
Seit 2018 ist die Insel der Öffentlichkeit zugänglich und ein beliebter Ausflugsort. Das Morbide lockt eben.
In der früheren Klinik findet sich heute ein kleines Museum zur Geschichte, sowie ein Hotel und Restaurant. Außerdem ist in einem Flügel das Schärenforschungsinstitut der Universität Turku untergebracht.
Über die Insel verteilt gibt es verschiedenste Wege und Wanderrouten, die an spannende Orte und Bauten oder auch einfach nur durch die reichhaltige Natur führen.
Das Eiland ist wirklich schön, doch auch sehr touristisch. Mit der Geschichte wird Geld verdient, was sich sehr deutlich zeigt, wenn die Fähre wieder einen großen Schwall Menschen ausspuckt, der sich dann über die schmalen Wege zwängt. Oder durch die Kameras, die die alte Kirche, den Anleger oder auch die Bootshäuser am Fähranleger überwachen.
Spannend, aber nicht unsers Ein interessanter Ort mit toller Natur und spannender Geschichte. Wir werden aber nicht sonderlich warm mit dem Konzept und kehren der Insel bereits nach einer Nacht den Rücken zu.
Der Wind hat sich auch genug erholt und steht gut um nach Nagu zu gelangen. So verlassen wir unseren Platz genauso leise, wie wir ihn angelaufen haben. Noch vor Anker wird das Groß gesetzt. Erst dann kommt der Anker. Kaum ausgebrochen, dreht Ari ihren Bug durch den Wind und das Segel füllt sich. Nun noch schnell das Grundeisen gesichert und die Genua ausgerollt...schon gehts völlig lautlos und emmisionsfrei voran. Wundervoll!
Wer mehr über die Insel erfahren möchte:
Tagesliegen ist übrigens kostenlos. Die Übernachtung an einem der drei Anleger kostet 30€.
Ankermöglichkeiten gibt es zahlreich. Laut Locals während der finnischen Sommerferien heillos überlaufen und zu meiden.
Hinweis: Von Själö haben wir nur die zwei Fotos. Wir hatten uns eine Smartphone-freie Zeit verschrieben. Sorry, ihr Lieben!
⌘
Comments